Ist der Weg das Ziel? Zwei deutsche Muslime haben es sich zum Ziel gesetzt, Mekka zu Fuß zu erreichen

(iz). Was treibt zwei deutsche Muslime an, sich zu Fuß auf den Weg nach Mekka zu machen? Leben wir nicht im Zeitalter des globalen Flugbetriebs, der uns noch den hintersten Winkel der Welt erschließt?

Abdul Kareem Hochhausen und sein Bruder Abdul Haliim sind zwei muslimische Brüder wie viele andere auch. Was sie auszeichnet, ist ihr Vorhaben, das Gebiet der heiligen Stätten in Mekka und Medina zu Fuß zu erreichen. Ihr Weg führt sie nicht nur über viele Länder und mehrere Kontinente. Sie zeichnen auch den Weg nach, den bis in unser Jahrhundert hinein Muslime seit Anbeginn des Islam zu nehmen.

Die Hadsch, die tatsächlich eine schwierige Reise ist, stellte in der Vergangenheit für die meisten die Reise ihres Lebens dar. Wohl auch, weil sie eine Herausforderung darstellte, die man nur einmal oder selten unterneh­men kann.

Mit ihnen sprachen wir über ihre Absichten, das Unterwegs-Sein in der modernen Zeit und die Wahrnehmung der Umgebung, die sie durchlaufen.

Islamische Zeitung: Wie kommt man auf die Idee, sich zu Fuß auf den Weg nach Mekka zu machen? Gab es einen konkreten Anlass?

Sohn des Weges: Anlass und Idee haben sich eigentlich beide aus einem Gespräch entwickelt, in dem es darum ging, dass man oft Dinge hinausschiebt; gar inkonsequent ist, weil man zu viel von Geld und Zeit abhängig macht, die man vorgibt, nicht zu haben. Das Gespräch – mit einem guten Freund – führte dazu, dass ich mir bewusst machte, was ich in meinem Leben noch sehen und erleben will.

Die Reise an sich mit dem Ziel Mekka ist also eigentlich die Summe der Dinge, die wir einmal erleben wollten. Der Fakt, dass wir zu Fuß gehen, ist eine Mischung aus Sparen und – viel wichtiger –, dass man sich ohne „Zeitmaschinen“ bewegt!

Wir sehen heute alles verzerrt und vorgespult – durch Autos, Internet usw. –, dass wir vergessen, wie wichtig es ist, die verbleibende „Erdenzeit“ sinnvoll zu nutzen und unser Herz mit den Dingen zu füllen. Einfach Eindrücke sammeln, wie es nie wieder möglich sein wird. Es geht um Geduld und die Dinge zu erleben, wie sie langsam auf einen zukommen. Dadurch bekommt man eine ganz neue Sicht auf die Dinge. Niemand hat eine Garantie dafür, dass er oder sie den nächsten Tag erleben wird.

Es ist enorm wichtig, dass man sich echte Gedanken darüber macht und anfängt abzuwägen, was wichtig ist und was nicht.

Islamische Zeitung: Wie muss man sich einen „normalen“ Tag auf eurem Weg vorstellen? Habt ihr mit logistischen Schwierigkeiten zu kämpfen?

Sohn des Weges: Bei uns ist kein Tag normal und genau deswegen ist es so wundervoll. Man hat morgens keine Ahnung, wo man Abends sein wird. Natürlich haben wir unsere Tagesziele, was aber noch lange nicht heißt, dass wir die auch immer erreichen. Ein Tag sieht in der Regel so aus: Wir packen nach dem Frühstück unsere Sachen, was bei einer Nacht im Freien bis zu einer Stunde dauern kann, gehen die Route für den Tag durch, die in der Regel zwischen 20 und 30 Kilometer beträgt. Dann geht es über Stock und über Stein, bis wir meis­tens nach drei bis vier Stunden „Mittag“ machen. Es gibt fast immer leckeren Hagebuttentee und Müsliriegel sowie Obst. Sobald wir dann „aufgetankt“ haben, wandern wir noch etwa drei Stunden. Alles, was wir bis dahin nicht erreicht haben, ist dann eben so... keinen Stress, es soll ja Freude machen. Zwischendurch – normalerweise, wenn einem nach vier Tagen die Muskeln brennen und die Knochen sich steif anfühlen – machen wir einen Ruhetag. Es ist wunderschön, mitten in der Landschaft zu beten. Je nachdem, wo wir Abends ankommen, schlagen wir unser Zelt auf. Wenn wir überhaupt gar keinen gescheiten Zeltplatz finden, nehmen wir auch ab und an eine Herberge oder Jugendherberge in Anspruch. Leider war es bis dato auch noch nicht möglich, in einer Moschee zu übernachten und wir hoffen, dass wir das schon bald nachholen können.

Ach ja, was ich nur jedem empfehlen kann: Couchsurfing! Haben wir zwar bis heute auch noch nicht in Anspruch genommen, haben aber sehr nette Angebote bekommen (da waren wir allerdings kostenlos bei einem Freund untergekom­men). In der Regel ist es gerade in den großen Städten kein Problem, eine Couch für eine Nacht zu bekommen.

Islamische Zeitung: Gab es bereits Reaktionen auf euer Vorhaben?

Sohn des Weges: Oh ja, die gab es. Erst einmal ganz viel Zuspruch und Unterstützung aus unserem direkten Umfeld, wofür wir sehr, sehr dankbar sind. Ich glaube, ohne eine starke Gemeinschaft im Rücken ist es doch – gerade psychisch – viel schwerer. Natürlich vertraut man auf Allah, aber seine Geschwister braucht man, um daran erinnert zu werden, dass man immer noch im Hier und Jetzt lebt, was auch Aufgaben mit sich bringt. Dann gab es auch mediale Resonanz durch die Lokalpresse und einen Beitrag, der bald im Deutschlandradio laufen wird [wurde am 15.05. gesendet]. Durch die mediale Reaktion gab es auch Menschen, die ihren Hass und ihre Unzufriedenheit mit uns geteilt haben. Jedoch ist das ein unwichtiger, minimaler Anteil, der nur der Vollständigkeit halber er­wähnt werden soll.

Besonders – wie auch in unserer ersten Videonachricht erwähnt – möchte ich noch einmal die Frauen hervorheben, die wirklich mit sehr viel Engagement unser Projekt unterstützten. Damit will ich mitnichten behaupten, dass die Brüder uns nicht unterstützen, aber sie machen es auf eine andere Weise. Das zeigt uns, wie wichtig die Frauen für den Zusammenhalt in der Gemeinschaft sind, weil sie frei von räumlichen und persönlichen Präferenzen sind. Männer sind da anders, wie ich selber zugeben muss.

Islamische Zeitung: Ein solches Unterfangen bedeutet doch sicherlich einen erheblichen Unterschied zu eurem Alltag?

Sohn des Weges: Hmm... also ich würde nicht behaupten, dass sich der Alltag an sich unterscheiden kann. Was macht einen Alltag aus? Man arbeitet, pflegt soziale Kontakte und erledigt seine Aufgaben. Genau das gleiche machen wir jetzt auch. Ich weiß natürlich, was gemeint ist. Aber ich finde, gerade da liegt der Hund begraben – was unsere Betrachtungsweise angeht.

Der Mensch pflegt seine Rituale und ich denke, das ist etwas, was sich einfach niemals unterscheidet, egal ob in Neuss in meinem Büro oder im Wald beim Wandern. Man nutzt seinen eigenen Gebetsteppich – den man extra mitschleppt –, hat seine Zeiten zum Schlafen und Aufstehen, betet, isst, kauft ein, macht das Zelt sauber und bringt seine Sachen in Ordnung. Es ist alles das Selbe – nur jetzt unter unseren eigenen Um­ständen, auf unserem eigenen Weg!

Vorbereiten...? Ja, wir dachten, wir wären vorbereitet, bis wir merkten, dass man sich auf so etwas nicht vorbereiten kann. Natürlich kann man mit Materialkunde und der einen oder anderen Lektüre einen kleinen „Vorsprung” oder eine Verständnisbrücke erzeugen, aber vorbereiten im Sinne von „das ist so und so” funktioniert ganz und gar nicht. Aber irgendwie war das auch eine neue Erfahrung für mich. Loslassen, die Dinge fließen lassen, aber trotzdem so viel Spannung zu haben, dass man im richtigen Moment zupackt. Ich denke, darin liegt so ein bisschen das Problem bei uns Deutschen... Bei uns muss immer alles so sein, wie es geplant war. Ich denke, die Genialität liegt bei demjenigen, der so dynamisch ist, dass er ein universales Puzzleteilchen in der Hand hält und es genau in die Lücke passt, in der Sekunde und an der Stelle, wo es gebraucht wird.

Islamische Zeitung: Wie setzt sich euer Weg im Ausland fort? Kann man so einfach ins Ausland „einwandern“?

Sohn des Weges: Es geht über Frankreich, Spanien, Marokko, Algerien, Tu­nesien, Libyen, Ägypten, Jordanien nach Saudi-Arabien. Bis Marokko ist es als EU-Bürger gar kein Problem. Danach müssen wir in jeden Land ein ganz normales Touristenvisum beantragen.

Jeder, der einmal in ein Land geflogen ist –ausgenommen natürlich die bekannten Problemstaaten, wo man acht Stunden an der Grenze festgehalten wird, wenn man aus dem falschen Land kam – weiß, dass das kein Problem ist. Genauso wenig wie die Verlängerung des Vi­sums, wenn man länger bleibt. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die deutschen Botschaften da bestimmt gerne behilflich sind.

Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass bei jetzigem Stand eine fußläufige Einreise von Marokko nach Algerien nicht möglich ist, aber wir gehen einfach entspannt drauf los und wenn es dann wirklich ganz und gar nicht geht, ­fahren wir mit dem Schiff direkt nach Tunesien weiter.

Islamische Zeitung: Gab es Probleme seitens der saudischen Hadschbehörden? Dort ist die Einreise zu Fuß sicherlich nicht mehr so häufig…

Sohn des Weges: Ob es Probleme geben wird, können wir gar nicht sagen, denn wir haben gar keine Einreiseerlaub­nis. Wie auch?! Es gibt keine Behörde auf der ganzen weiten Welt, die einem ein Visum ausstellt, in dem man selbst das Datum eintragen kann... Allah ­alleine weiß, wann wir ankommen! Vielleicht in zwei Jahren, vielleicht in drei, oder eineinhalb?! Wir wissen es nicht und deswegen stellt uns auch niemand ein Proforma-Visum aus. Auf der anderen Seite: Glaubt ihr, dass die Behörde zwei Muslime die 9.850 Kilometer zu Fuß zurücklegen, um die Hadsch zu machen, vor den Toren stehen lassen? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Islamische Zeitung: Auch wenn euer Ziel die heiligen Stätten sind, so habt ihr sicherlich schon bisher mehr von Deutschland aus nächster Nähe gesehen als viele andere. Wie hat sich eure Erfahrung hierzu verändert?

Sohn des Weges: Also von Deutschland im Allgemeinen kann man ja in dem Sinne nicht sprechen..., jedoch muss ich sagen, dass sich an meinem beziehungsweise unserem Horizont doch einiges verändert hat. Uns war zum Beispiel nicht bewusst, wie schön die Eifel ist. Wie dörflich es zwischen den „großen“ Städten ist und wie unkompliziert die Menschen an sich sind. Wenn man nett fragt, bekommt man bei fast jedem Landwirt, Angelverein usw. einen Platz zum Zelten. Uns wurde „Proviant” geschenkt, mit gespitzten Ohren zugehört, wenn wir von unserer Reise erzählt haben sowie Glück gewünscht.

Um es zusammenzufassen: Die Sicht darauf, was weit ist und was nicht, hat sich extrem verändert, und darauf, wie viel wundervolle Landschaft es in Deutschland gibt und das Empfinden darüber, wie die Menschen an sich sind – aufgeschlossen, hilfsbereit und begeisterungsfähig.

Kontakt:
Email: sohndesweges@gmail.com
Web: sohndesweges.blogspot.de

Quelle: Islamische Zeitung


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dradio: Bastian und Marcel Hochhausen begeben sich auf die Hadsch. Von ihrer Heimat Neuss über Frankreich, Spanien, Marokko, Jordanien bis nach Saudi-Arabien.

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